- Medizinnobelpreis 1977: Roger Guillemin — Andrew Victor Schally — Rosalyn Sussman Yalow
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Die drei amerikanischen Wissenschaftler wurden für die Erforschung der Peptidhormonproduktion im Gehirn ausgezeichnet.BiografienRoger Guillemin, * Dijon (Frankreich) 11. 1. 1924; 1943-49 Medizinstudium in Lyon, ab 1957 Professor in Houston (USA) und ab 1970 am Salk-Institut in San Diego.Andrew V. Schally, * Wilna (Litauen) 30. 11. 1926; ab 1952 Studium der Biochemie und Endokrinologie an der MacGill-University in Montreal (Kanada), ab 1960 Professor in Houston und seit 1967 in New Orleans.Rosalyn S. Yalow, * New York 19. 7. 1921; 1941 Abschluss des Physikstudiums am Hunter-College in New York, 1968-79 Professor an der Medizinischen Hochschule Mount Sinai und dann bis 1985 an der Yeshiwa-Universität in New York; leitete ab 1970 die Abteilung für Nuklearmedizin des Veterans Administration-Hospitals in der Bronx.Würdigung der preisgekrönten LeistungHormone sind für den ungestörten Ablauf des Stoffwechsels und die Reproduktion grundlegend wichtig. Sie unterscheiden sich, je nach Wirkort, in die drei Hauptgruppen Schilddrüsen-, Steroid- und Proteo- und Peptidhormone.Mitte der 1950er-Jahre gab es ausgereifte chemische Methoden zur quantitativen Analyse vieler Hormone, jedoch nicht für die Peptidhormone. Einer der Hauptgründe dafür waren ihre extrem niedrigen Konzentrationen in Blut und Urin. Beispielsweise liegt die molare Konzentration des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) etwa bei 1 x 10-12. Solche geringen Mengen in einigen Millilitern Blut nachzuweisen war lange Zeit nicht möglich. Erst Rosalyn Yalow gelang es, die winzigen Konzentrationen zu messen.Kombination von Immunologie, Isotopenforschung, Mathematik und PhysikDie exakte und verlässliche Bestimmung des Peptidhormonspiegels hob die Blockade in einigen Gebieten der biologischen und medizinischen Forschung endlich auf. Viele Hypothesen über physiologische Mechanismen und pathologische Vorgänge wurden mit der von Yalow entwickelten Methode endlich experimentell überprüfbar. Yalow hatte die überraschende Entdeckung gemacht, dass Patienten, die eine Injektion des Peptidhormons Insulin erhalten hatten, Antikörper gegen das Hormon bildeten.Das gefundene Ergebnis widersprach der herrschenden Vorstellung, dass ein so kleines Protein wie das Insulin nicht als Antigen wirken könne. Für Yalow war aber auf dem Weg zum Radioimmunoassay (RIA) noch eine weitere, entscheidende Entdeckung hinzugekommen. Sie hatte bemerkt, dass die Insulinantikörper einen löslichen Komplex bildeten, wenn sie mit radioaktivem Jod markiert worden waren. Nichtmarkiertes Insulin in der Lösung konnte das markierte und an die Antikörper gebundene Insulin ersetzen. Der Vorgang führte zu der Erkenntnis, dass der Prozentsatz des markierten Insulins, das an die Antikörper gebunden blieb, eine Funktion der gesamten Insulinkonzentration in der Lösung darstellte.Die Physikerin entwickelte, zeitweise gemeinsam mit dem amerikanischen Mediziner Solomon Aaron Berson, die notwendige Technik, um die neuen Erkenntnisse zu nutzen. Sie führte schließlich auch zur radioimmunologischen Bestimmung der Peptidhormonkonzentration im Blut, in anderen Flüssigkeiten und in Gewebe. Der RIA entpuppte sich als eine spektakuläre Kombination von Immunologie, Isotopenforschung, Mathematik und Physik. Das Verfahren ist so empfindlich, dass es die Bestimmung von 10 bis 20 Nanogramm Insulin ermöglicht. Bei ACTH lassen sich sogar weniger als ein Nanogramm im Milliliter nachweisen. Das entspricht einem Teil auf eine Billiarde Teile.RIA revolutionierte die biologische und medizinische Forschung. Heute existiert eine ganze Reihe RIA-ähnlicher Verfahren, die so genannten Ligandenmethoden. Nahezu alles lässt sich damit nachweisen, Peptidhormone, Hormone, Peptide, Enzyme, Viren, Antikörper, Wirkstoffe der verschiedensten Art und vieles mehr. Yalow gelang es mithilfe des RIA auch, die Physiologie des Insulins und von ACTH zu erhellen. Die Pathogenese von Krankheiten, die durch abnormal hohe Sekretion der Hormone entstehen, konnte sie ebenfalls beleuchten. Eine neue Ära der Endokrinologie hat mit dem RIA begonnen.Begründer der modernen HypophysenforschungDie Hypophyse oder Hirnanhangdrüse produziert eine ganze Reihe von Hormonen, die über die Blutbahn zu den hormonproduzierenden Drüsen des ganzen Körpers transportiert werden. Damit stimuliert die Hypophyse die verschiedenen Drüsen dazu, selbst Hormone bereitzustellen und freizusetzen.Als Guillemin und Schally mit ihren Forschungen begannen, war bekannt, dass das Zentralnervensystem auf eine unbekannte Art die endokrinen Funktionen beeinflusst. Man vermutete aber, dass der Hypothalamus im Hirnstamm auf diese Prozesse vermittelnd einwirkt. 1930 wurde entdeckt, dass die Hypophyse über kleine Blutgefäße mit dem Hypothalamus verbunden ist. Es wurde zwar vermutet, dass das der Transportweg zwischen Gehirn und Hypophyse ist, der die Informationen des Gehirns vom Hypothalamus auf die Hypophyse leitet, und von dort mithilfe spezifischer Hormone an die endokrinen Drüsen weitergibt. Die Art der Informationsträger blieb allerdings rätselhaft. Ende der 1950er-Jahre gelang es den beiden Forschern unabhängig voneinander, aus dem Hypothalamus von Schaf und Schwein Verbindungen zu extrahieren, die, wenn sie der Hypophyse ausgesetzt werden, diese dazu bringen, Hormone freizusetzen. Ein Extrakt brachte die Hypophyse dazu, ACTH freizusetzen, ein anderer bewirkte die Produktion von TSH (Thyroid Stimulating Hormon; Schilddrüsenstimulierendes Hormon), ein dritter die von LH (Luteinisierendes Hormon) und FSH (Follikelreifungshormon). Die beiden Wissenschaftler nannten ihre Exkrete Freisetzungsfaktoren oder »releasing factors or hormones«, kurz RF oder RH. Der die TSH-Produktion stimulierende Faktor hieß dann folgerichtig TSH-RF oder kurz TRF.Es dauerte aber bis 1969, bis sie die Natur ihrer Extrakte bestimmen konnten. Guillemin hatte mit fünf Millionen Hypophysenfragmenten aus Schafen gearbeitet, Schally mit der gleichen Menge aus Schweinehirnen. Sie konzentrierten sich auf die Suche nach einem der Neurosekrete, dem TRF. Nach Jahren mühevoller Arbeit hatten beide schließlich ein Milligramm einer reinen Substanz, die die Hypophyse ausschließlich zur Sekretion von TSH veranlasste. Das TRF war gefunden.Wenig später war auch die Struktur des TRF aufgeklärt. Es besteht aus nur drei Aminosäuren in einer sehr speziellen Anordnung und ist damit ein außerordentlich kleines Peptid. Bald gelang es Guillemin auch, TRF zu synthetisieren. Weitere zwei Jahre später konnte LH-RH isoliert, sequenziert und synthetisiert werden — zuerst von Schally, wenig später von Guillemin. Guillemin und Schallys Entdeckungen begründeten die moderne Hypophysenforschung. Die Erfahrungen aus der Tierforschung konnten sehr schnell auf den Menschen übertragen und in die klinische Arbeit einbezogen werden.U. Schulte
Universal-Lexikon. 2012.